Logbuch: September 2021 – Warum Energiepreise weiter steigen werden

Die Recherche zu meinem Romgaz-Artikel hat mich für ein Thema sensibilisiert, dass ich ehrlicherweise sonst gar nicht so richtig auf dem Schirm gehabt hätte: Den sogenannten „Energy Crunch“. Es geht dabei um rasant steigende Preise vor allem für Erdgas. In Großbritannien nimmt die Geschichte bereits sehr ungemütliche Ausmaße an – sehr zu Leidwesen für den Premier Boris Johnson, der den Bürgern ja eigentlich genau das Gegenteil versprochen hatte, wenn der Brexit erstmal geschafft wäre und UK viel Geld sparen würde, das man dann steuerentlastend einsetzen könnte. Aber da hat der liebe Boris die Rechnung nicht mit der Realität gemacht und nun reiben sich die Briten ganz schön die Augen, warum sie plötzlich den dreifachen Preis (!) für ihr Erdgas hingelegen und nun auch noch das Benzin knapp wird. Aber wie kommt das eigentlich alles?

Zum einen wäre da natürlich die Erholung der Wirtschaftsaktivität durch steigende Impfquoten zu nennen, die folglich die Nachfrage nach Elektrizität ansteigen ließ. Gasexporteure in den USA konnten sich dadurch über einen soliden Anstieg der Nachfrage aus Asien und Europa freuen. Einem Bericht der Financial Times zufolge hat sich zwischen europäischen und asiatischen Käufern ein regelrechter Bieterkrieg um Flüssigerdgas entwickelt. Die Asiaten sind die Gewinner, weil sie mehr Kaufkraft mitbrachten. Europäer waren hier schlichtweg zögerlicher, weil sie es gewohnt sind, das es im europäischen Pipeline-Netz schon irgendjemanden geben wird, der ebenfalls liefern kann. Warum diese Annahme mittlerweile ins Reich der Früher-war-alles-besser-Geschichten gehört, hatte ich hier ja umrissen.

Zum anderen war früher Kohle traditioneller Lückenbüßer. Doch selbst dort wird das Angebot knapper. Dabei spielt einerseits der Mangel an Arbeitskräften in den USA eine Rolle, zum anderen machen sich bereits Dekarbonisierungs-Ziele bemerkbar: Es ist für Produzenten von thermische Kohle tatsächlich schwieriger geworden, Kapital einzuwerben, um im Rahmen der Pandemie stillgelegte Resourcen wieder in Betrieb zu nehmen. Und schließlich möchte China den Australiern für ihre jahrelange Menschenrechtskritik nun gern eine Lektion erteilen, hat Importe von Kohle und Eisenerz massiv heruntergefahren und kauft sie nun selbst anderswo auf dem Weltmarkt ein.

Wie sich der Energy Crunch auch außerhalb der Rohstoffmärkte bemerkbar macht, zeigen auch die Crypto-Werte in diesem Sommer. Immer wieder hat die Kommunistische Partei ihre Verbote gegen Geschäftsmodelle rund um Crypto-Währungen ausgeweitet und dabei auch ganz gezielt die in Xinjiang ansässigen Mining-Farmen ins Visier genommen. Nachdem sie ihre Anlagen abschalten mussten und sich die sogenannte Hashrate auf globaler Ebene dadurch fast halbierte, brachen Crypto-Währungen im Frühsommer fast ebenso stark ein.

Aber das reicht den Machthabern in Peking nicht. Mittlerweile sind die Regelungen zur Reduzierung des Energieverbrauchs so drastisch, dass selbst die Halbleiterindustrie, die China ansonsten ja eigentlich nach allen Kräften zu stützen versucht, ihre Fabriken herunterfahren müssen, wie die Global Times zu berichten weiß.

Mit dem nahenden Winter ahnen mittlerweile auch die Amerikaner, dass hohe Energiepreise der nächste heiße Import für die Vereinigten Staaten werden könnten. Das Wall Street Journal zitierte Daten, dass die Gasvorräte auch dort (wie auch in Europa und Asien) bereits deutlich unter dem Durchschnitt der letzten Jahre liegen.

Die Industrial Energy Consumers of America, einer Organisation, die Unternehmen aus der Chemie-, Lebensmittel- und Grundstoffindustrie vertritt, hat vom Energieministerium bereit gefordert, die Ausfuhr von Flüssigerdgas per Dekret begrenzen, um einen Preisanstieg und einen Gasmangel während des kommenden Winters zu vermeiden (siehe Artikel bei Reuters).

Es wird politisch

In der deutschen Politik hingegen scheint das Thema „Energy Crunch“ bislang nicht angekommen zu sein. Man ist dort viel zu sehr mit dem Ausgang des Wahlkampfes beschäftigt. Vielleicht hofft die Politik gemeinsam mit den Versorgern auf einen milden Winter. Tritt diese Hoffnung jedoch nicht ein, sehe ich spätestens im Januar wütende Diskussionen in der EU über den Preis von CO2-Zertifikaten auf der Tagesordnung stehen. Es wird leicht übersehen, dass Polen oder Tschechien die Hälfte ihrer Energie durch die Verstromung von Kohle erzeugen. Wieviel dann von der These übrig bleibt, die EU-Länder könnten sich bei Stromknappheit im Bedarfsfalle ja (Stichwort „Dunkelflaute“) einfach gegenseitig unter die Arme greifen, bleibt abzuwarten.

Und schließlich kommt hinzu, dass die Regierungschef der rivalisierenden Weltmächte USA und China durch eine Phase gehen, in denen sie beide dringend Stärke demonstrieren müssen. Biden ist politisch durch Afghanistan, die Anhebung der Schuldengrenze und seine bislang gescheiterten Versuche, die Infrastructure Bill durchzubringen, geschwächt. Xi Jinping will sich auf dem Volkskongress im kommenden Jahr wahrscheinlich auf Lebenszeit wiederwählen lassen und der Welt zur Olympiade 2022 in Peking ein Land mit blauem Himmel und sauberer Luft präsentieren.

Der lachende Dritte im Bunde ist natürlich Putin, der sich darüber freuen kann, dass die verpeilten Europäer ihn am Ende doch bitten müssen, den Hahn bitte, bitte noch etwas weiter aufzudrehen.

Was sind die Konsequenzen für Anleger?

Mein Eindruck ist, dass wir uns in eine stagflatorische Phase bewegen. Zumindest übergangsweise. Es wird den Aktienkursen vieler Unternehmen vermutlich nicht gut tun, wenn man verschnupft einräumen muss, dass man wegen leerer Lager „leider nicht das volle Potential aus dem Weihnachtsgeschäft heben konnte“.

Chancen dürften hingegen bei einigen Rohstoffen bestehen, denn wenn in China die Stahlwerke zum Strom-Sparen zwangsweise heruntergefahren werden, dann fehlt im Frühjahr natürlich etwas auf dem Markt.

Weitere Quellen:

Beitragsbild: iStock / lyash01

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